Ohne Stimme keine Stimmung

In den letzten Tagen hörte man zunehmend von geplanten deutschlandweiten Aktionen, die sich gegen die inzwischen öffentlich gewordenen Vorstellungen der Kommission „Sicheres Stadionerlebnis“ richten sollen. Was hat es damit auf sich?

Im Zusammenhang einer seit einem Jahr laufenden medialen und politischen Kampagne gegen Fußballfans und aktive Fanszenen, unterstützt durch spektakuläre Ereignisse wie Dortmund gegen Dresden, Düsseldorf gegen Hertha oder Karlsruhe gegen Regensburg kam es in Folge der jüngeren Entwicklungen zu der Erarbeitung eines Pamphlets durch eine vom Ligaverband ins Leben gerufene „Kommission Sicherheit“. Das Zustandekommen und die inhaltliche Ausrichtung dieses Schriftstücks haben von unserer Seite das Fass zum Überlaufen gebracht. Deshalb haben wir uns darauf geeinigt, gemeinsam unsere Ablehnung zu demonstrieren.

 Dann einmal der Reihe nach. Wer ist denn „wir“?

Wir, das sind aktive Fangruppen aus mehreren Dutzend deutschen Vereinen. Die aktiven Fanszenen haben sich zeitgleich zum „Fangipfel“, ebenfalls am 1. November und ebenfalls in Berlin, auf einer separaten Veranstaltung getroffen. Das waren vor allem Ultràgruppen der verschiedenen Vereine, um die auf der Veranstaltung gemachten Kompromisse danach an ihre jeweilige weitere Fanszene und ihren Verein heranzutragen.

 Also gab es zwei unterschiedliche Treffen an einem Tag zum selben Thema?

Im weitesten Sinne ja. Die Zielsetzungen der beiden Treffen waren aber unterschiedlich und wurden gerade wegen der Wichtigkeit des Themas separat durchgeführt. Während der „Fangipfel“ noch am selben Tag eine Stellungnahme präsentieren wollte und sich mit der Einflussnahme und Wichtigkeit der aktiven Fanszenen beschäftigte, zielte unser Treffen auf konkrete Aktionsformen ab, mit denen in den nächsten Wochen sinnvoll und wirksam Protest zum Ausdruck gebracht werden kann. Unser Treffen war also keinesfalls konspirativ zum „Fangipfel“ gemeint. Im Gegenteil, wir begrüßen die Gegenwehr gegen die Arbeit der „Kommission Sicherheit“ auf allen Ebenen.

Wer ist denn die „Kommission Sicherheit“ und wie ist sie zustande gekommen?

Diese Kommission wurde vom Ligaverband Ende August ins Leben gerufen und ist somit die Reaktion des Ligavorstandes auf die Task Force Sicherheit, die Sicherheitskonferenz und die Innenministerkonferenz. Die Kommission ist ohne Einbeziehung von Fans und auch ohne Einbeziehung des DFB entstanden und besteht aus DFL- und Clubvertretern mit dem Vorsitzenden Peter Peters an der Spitze.

 Welche Punkte kritisiert ihr genau?

Das Pamphlet ist in Gänze abzulehnen! Die Entstehung ist eine absolute Frechheit und torpediert die erfolgreiche Arbeit in vielen Vereinen. Um alle Punkte zu nennen, reichen nicht einmal zehn Finger aus. Von sehr speziellen Menschenrechtsverletzungen wie Ganzkörperkontrollen durch ungeschultes Personal oder direkte Einsicht für den Ligaverband in polizeiliche Ermittlungen, über repressive Rundumschläge wie Verlängerung der Stadionverbote oder Kollektivstrafen für gesamte Fanszenen bei Verstößen einzelner, reicht das Papier bis zu aufgezwungenen Fankodizes und einem möglichen Verbot von Stehplätzen. Viele Vereine haben sich ausführlich gegen das Papier ausgesprochen und Stellungnahmen geschrieben. Diese sollte jeder Interessierte studieren. Die Tendenzen, die aus dem Pamphlet abzuleiten sind, sind wirklich erschreckend und die einzelnen Forderungen zeichnen ein Bild, was keinesfalls der Wirklichkeit entspricht.

 Also zielt das Paket eurer Meinung nach in die falsche Richtung?

Ganz klar! Es gibt keine verlässlichen Statistiken, die den Zustand eines Gewaltproblems beschreiben. Die ZIS (Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze) verbreitet tendenziöse Zahlen, welche sich nicht mit den getätigten Aussagen decken. Hinzu kommt, dass frühere Konzepte für mehr Sicherheit und weniger Gewalt noch gar nicht zum Tragen kommen konnten. Es wird mit Schnellschüssen gearbeitet, welche vornehmlich durch repressiven Charakter glänzen. Zugeständnisse an und mehr Verantwortung für die Fanszenen sind Handlungsstränge, die zumindest den sogenannten „Sicherheitsexperten“ fremd zu sein scheinen. Es beschäftigen sich aus unserer Sicht Menschen mit Fankultur und Fanszenen, welche keinerlei Bezug zu der Materie haben und die Argumente der Gegenseite auch gar nicht hören wollen. Ganz fatal wird die Sache dadurch, dass auch Politiker den Fußball als Bühne für sich selbst entdeckt haben. Von Seiten der Verbände wird nun auch verstärkt mit dem Argument vorgegangen, dass man bei „Ungehorsam“ der Vereine mit einer politischen „Lösung“ rechnen muss. Der Sinn und Zweck der ganzen bewusst falschen Meinungsmache erschließt sich wohl niemandem bzw. muss man davon ausgehen, dass der Sinn und Zweck die Fankultur in der heutigen Form nicht zulässt. Der Eindruck, der Fußballinteressierten vermittelt wird, ist doch, dass wir unfähige Politiker und Polizisten haben, dass Fußballfans Schwerkriminelle sind und dass das Produkt Fußball wirtschaftlich und imagetechnisch immer mehr verliert. Wer davon profitieren soll, ist momentan absolut unklar.

Nun gab es in den Stadien und sogar in den Medien schon deutlichen Widerstand. Was hat sich dadurch geändert?

Die DFL bzw. der Ligaverband mussten stark zurückrudern. Der Widerstand regte sich erst in einigen Vereinen und breitete sich dann weiter aus. Das Papier befand sich relativ schnell im Internet und ermöglichte so einer Vielzahl von Personen den Einblick in die teils perversen Vorstellungen manches Funktionärs. Einige Medien griffen die Thematik infolgedessen auf, wobei wieder einmal der Großteil der Journalisten sehr vorsichtig war, aber zumindest wurden einige Argumente in die öffentliche Diskussion getragen. Auf dem bereits angesprochenen Fangipfel blamierte sich dann ein Thomas Schneider (Fanbeauftragter der DFL), indem er versuchte, das dort formulierte Echo abzuschwächen und später etwas von undemokratischen Verhältnissen faselte, welche seiner Meinung nach durch die Abschlusserklärung und die dort festgeschriebene komplette Ablehnung des Pamphlets bestehen würden. Offiziell soll das erste Papier nur eine Diskussionsgrundlage gewesen sein, was aber aufgrund der Verfahrensweise keinesfalls anzunehmen ist, denn hinter verschlossenen Türen schafft man keine Grundlagen. Auch die Auseinandersetzung der Fans mit der Thematik wurde offiziell begrüßt, was auch schwer vorstellbar erscheint, da diese Auseinandersetzung zu komplett konträren Ansichten führte und somit die Vorstellungen der DFL und des Ligaverbandes torpedierte. Gefußt hat das Ganze in einem „neuen“ Sicherheitspapier der Kommission „Stadionerlebnis“, welches am 15. November an die Vereine verschickt wurde.

Was hat sich in diesem Paket geändert und wurde auf die Vorwürfe eingegangen?

Die Pressemitteilung der DFL lässt vermuten, dass man wirklich etwas begriffen hat, doch das neue Pamphlet wurde diesmal noch schneller bekannt. Inhaltlich ist die gleiche Ausrichtung zu erkennen. Teilweise sind Passagen schwammiger formuliert, lassen aber immer noch die gleichen Konsequenzen, z.B. Ganzkörperkontrollen, zu. Besonders kritische Punkte wurden nun immerhin weggelassen wie z.B. die Forderungen an Dritte, welche unzählige Datenschutz- und Menschenrechtsverletzungen beinhalteten. Die Entstehung ist aber erneut als Schnellschuss zu verstehen. Die Herrschaften, welche sich scheinbar berufen fühlen den deutschen Fußball grundlegend zu ändern, wollen schon bei der Mitgliederversammlung des Ligaverbandes am 12. Dezember Nägel mit Köpfen machen. Wieder wurde keine breite Diskussion geführt und diesmal wurde den Vereinen nicht einmal viel Zeit zum Antworten gelassen. Sieben Tage reichen keinesfalls aus, um Alternativen auszuarbeiten oder sich ein umfassendes Bild im eigenen Verein einzuholen. Man will mit aller Macht zumindest einige Punkte durchdrücken, koste es, was es wolle. Vielleicht können der Ligaverband, die Vereine und die Fans in Zukunft auch wieder als Einheit auftreten, die ein klares Zeichen an Polizei und Politik sendet. Momentan ist das schwer vorstellbar.

 Also war der bisherige Protest nur gering erfolgreich?

So kann man das nicht sagen. Das Thema ist in der Öffentlichkeit. Am liebsten wäre dem Ligaverband wohl gewesen, wenn alle Vereine einfach nur abgenickt hätten. Nun müssen sich die Vereine mit den Anliegen der Fans und Mitglieder stärker beschäftigen und Fans und Mitglieder können und werden ihre Macht sinnvoll einsetzen. Außerdem soll nun jeder Punkt einzeln besprochen und auf der Mitgliederversammlung abgestimmt werden, was einerseits zu begrüßen ist, aber auch dafür sorgen kann, dass doch einige fragwürdige Punkte verabschiedet werden. Dennoch muss man konstatieren, dass die DFL nicht für einen Dialog auf Augenhöhe bereit ist und man immer noch von oben herab auf Fans zu blicken scheint. Wir haben uns also nicht durch die jüngsten Ereignisse umstimmen lassen und halten unsere Aktionen weiterhin für wichtig. Lediglich die Aufklärung ist jetzt etwas schwieriger geworden, da wir nun über zwei schreckliche Papiere informieren müssen.

Was ist denn genau geplant?

Bis ins kleinste Detail kann man das nicht beantworten. Im Zuge des Treffens wurde sich auf einen Minimalkonsens geeinigt, jedoch hat jede Fanszene unterschiedliche Möglichkeiten und hat weiterhin viele Freiheiten. Aufgrund der Abstimmung über das neue Pamphlet auf der Mitgliederversammlung des Ligaverbandes am 12.12. heißt das Projekt „12:12 – Ohne Stimme, keine Stimmung“. Ab dem Wochenende des 23-25. Novembers geht die Aufklärung zu dem Thema und zu den Aktionen offiziell los. Viel Aufklärung hat aber schon davor stattgefunden und einige Aktionen werden schon an diesem Wochenende über die Bühne gehen. Die Spiele der folgenden Spieltage werden in den ersten zwölf Minuten und zwölf Sekunden stimmungsmäßig boykottiert. Andere Aktionen laufen begleitend, sind aber sehr unterschiedlich und bleiben den einzelnen Szenen überlassen. Alle optischen Aktionen oder der Stimmungsboykott sind nur ein Teil der wichtigen Arbeit in Bezug auf die Gesamtproblematik. Die von uns koordinierten Punkte sind aber typisch für Fankurven und erreichen durch die Vielzahl der Stadiongänger und durch das Aufgreifen der Medien einen Großteil der Fußballinteressierten.

Wie kann man euch unterstützen?

In vielerlei Hinsicht kann man uns unterstützen. Zunächst sollte sich jeder informieren. Das ist das wichtigste und sollte den Aktionen in unseren Augen breiten Zuspruch bringen. Selten lagen die besseren Argumente so klar bei den Fans. Die möglichen Konsequenzen sollte sich jeder selbst vor Augen führen. Außerdem sollte man die Aktionen mit aktiver Teilnahme unterstützen. Man kann über alles diskutieren, seien es Formulierungen oder gewählte Stilmittel, aber momentan ist Einigkeit sehr wichtig.

Des Weiteren sollte jeder die Aktion „Ich fühl‘ mich sicher“ fördern. Hier kann man die auf der Internetseite www.ich-fuehl-mich-sicher.de getätigten Aussagen mit dem eigenen Namen unterschreiben und somit ein weiteres klares Zeichen setzen.

Die Webseite zu den Aktionen wird unter www.12doppelpunkt12.de zu finden sein. Hier könnt ihr euch informieren, auch wenn der direkte Kontakt zu den Fanszenen eurer jeweiligen Vereine sicherlich noch informativer ist.

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